2022 05 30 Wind, ja fast schon Sturm – und das nicht im Wasserglas

Ankerposition: Horta Marina, keine Änderung

Der Tag beginnt spät. Selbst ich habe nach nicht so gut geschlafener Nacht bis 10:00 Uhr geruht. Wann dann Michèle kommt, mag sich jeder selbst ausrechnen. Und kaum ist sie da, geht es los. Für den Nachmittag und Abend ist Starkwind mit Böen über 40 Knoten angesagt. Und die kommen auch. Dabei dreht der Wind langsam über Nord auf Nordnordost. Das heißt, es bläst – ganz leicht – Richtung Steinmole. Kein Problem. Also – für uns. Wir haben den Platz und den Abstand so gewählt, dass wir auch ein paar Meter den Anker direkt auf die Mole zuschleifen können. Aber gestern Abend hat sich einer von diesen intelligenten Superseglern französischer Nation noch zwischen uns und die Mole gelegt. Um 17:00 Uhr beginnt das Theater und wir sitzen in der nullten Reihe! Also – mittendrin!

Unsere lieben Franzosen finden ja 10 Meter Abstand zum Anker-Nachbarn ziemlich viel. (Für die Nichtsegler: Bei 100 Metern sage ich: Profi. Bei 50 Meter sage ich: Passt.) Wir haben 50 Meter Kette draußen. Das bedeutet, für die mit nicht so viel navigatorischer Erfahrung und keinen mathematischen Kenntnissen, dass wir einen Kreis mit 100 Metern Durchmesser „belegen“. Gut – wenn Wind weht, dann werden alle Boot in die gleiche Richtung getrieben. Und behalten damit ihren Abstand untereinander. Aber bei wenig Wind, da verhalten sich Katamarane und Einrumpf-Boote verschieden. Ganz verschieden. Da wird es bei 100 Metern Abstand und wenn beide 50 Meter Kette ausgebracht haben, schon mal recht eng. Das Einrumpfboot bleibt stehen der Kat schwingt rum…..

Unser lieber Franzosen-Freund bemerkt so bei 35er Böen, dass er ziemlich nahe an die Steinmole getrieben wird. Klar – wir haben 52 Meter Abstand. Aber er ist ja schließlich zwischen uns und der Mole. Also nimmt er den Anker kurz: Sprich: Er holt die Kette ein und verringert damit seinen Radius um den er schwingt. Das hört sich erstmal gut an! Problem dabei ist, dass einen nicht der Anker festhält. Der Anker hält nur die Kette. Und der Teil der Kette, der auf dem Grund liegt, der hält das Boot. Da wir auf fast 10 Meter Wassertiefe liegen, geht der normale Segler von dem 1.5 fachen = 15 Meter Kette aus, die im Wasser noch nicht den Grund erreicht hat. Als Taucher sage ich Euch: Das dreifache der Wassertiefe, wenn Spannung – also zum Beispiel der Zug, der entsteht, wenn der Wind das Boot drückt - auf die Kette kommt. Und das Dreifache ist eher knapp kalkuliert. Da liegen bei uns dann noch 20 Meter Kette auf dem Grund. Knapp, besser wären 30 Meter. Aber: Wenn sich der Anker gut eingegraben hat, gerade so genug. Also, bei mäßigem Wind.

Unser Lieblings-Franzos hat also die Kette kurz geholt. Und dann fängt er an, mit dem Motor gegen den Wind zu fahren. Über seinen Anker hinweg. Klar – der will ihn ausbrechen (also aus dem Grund lösen), damit er ihn leichter hoch holen kann. Nein! Er dreht nach links, auf die Mole zu. Und dann nach rechts, auf den Ankerlieger vor uns. Dann gibt er noch mehr Gas und fährt uns vor unseren Bug. Nimmt das Gas raus und treibt auf uns zu. An dieser Stelle höre ich auf zu filmen und wir flitzen raus, jeder mit einem dicken Kugelfender. Um den Aufprall auf uns möglichst abzufedern. Den Film könnt Ihr auf Instagram sehen (Link oben auf der Homepage). Den abrupten Schluss bitte ich zu entschuldigen. Wir mussten raus! Ich kann berichten: Es ist nichts passiert. Er hat „die Kurve“ gerade noch so bekommen. Und das ging dann die nächsten 5 Stunden so! Wir sitzen angespannt im Salon und beobachten, was er gerade macht. Manchmal scheint es kurz so, als hätte er es nun im Griff: Wenig Gas geben, Bug im Wind halten. Kurz zurück wehen lassen und dann wieder von vorne. Aber dann kommen wieder seine Kamikaze-Manöver. Den Ankerlieger vor uns spießt er mehrfach fast mit seinem Bugspriet auf, dann liegt er quer und treibt auf uns zu. Auf Zuruf antwortet er: „I’m stabilising!“. Wir flitzen immer wieder mit unseren dicksten Fendern raus.

Um halb 10 mache ich die Lichter in den Backbord-Kabinen an und bringe eine Lampe am Bug aus, dass er uns auch ganz genau in der Dunkelheit sehen kann. Am liebsten würde ich ihn mit unserer 5000 Lumen-Lampe taghell anleuchten. Aber dann blende ich ihn und er könnte sagen, dass er es ohne das Licht geschafft hätte. Kaum ist das geschehen, da endlich holt er seinen Anker auf – was dann auch noch ne Weile dauert. Und dampft ab! Michèle wartet noch, ob er nun 10 Meter in Luv von uns den Anker wirft. Aber er fährt weiter weg und sie applaudiert und schreit „Hurra“!
Warum er uns und den Ankerlieger vor uns 5 Stunden in Anspannung gehalten hat, diskutieren wir dann noch lange. Eine Antwort können wir nicht finden!

Michèle:

Als er zu Beginn eines seiner gefährlichen Manöver sich quer zum Wind direkt vor unser Boot legt, sprinte ich nach vorne und frage was sie da tun würden. Seine Frau schaut mich stumm an; sie hat wahrscheinlich Redeverbot und gibt die Frage schweigend an den Mann weiter. Der dreht sich um und schreit: „I’m trying to survive!“. Und mit einer genervten Hand- und Kopfbewegung bin ich entlassen. Hmmm, tja, das versuche ich auch – jeder hat da so seine eigenen Strategien – nur finde ich meine nicht ganz so gefährlich für die Mitmenschen! Egal, es geht wirklich bis in die Abenddämmerung so weiter. Die drei jungen Männer vor uns im Boot stehen ebenfalls die ganze Zeit über in Habachtstellung. Erst als es anfängt dunkel zu werden und wir, wie Chrischan berichtet, Licht nach vorne an unseren Bug bringen, kommt auf einmal Bewegung in das Ganze. Die jungen Männer haben wahrscheinlich keine Lust, die ganze Nacht Wache zu schieben und nehmen entnervt den Anker hoch und verlassen den Platz. Dann bewegt sich unser Überlebensstratege ebenfalls nach vorne und nimmt seinen Anker auf. Problemlos!!!!! HALLO!!!!!! Wieso nicht gleich so? Außerdem lässt sich endlich auch mal die Hafenwacht blicken und schreit unserem strategischen Stabilisierer irgendetwas zu. Jedenfalls bekommt er den Anker ganz aus dem Wasser und dreht ab!!! Ich kann es einfach nicht glauben. Ich warne Yoshi, dass der Kuschelankerer jetzt auf dem Weg zu ihm sei. Yoshi liegt etwas weiter hinten im Hafen und hatte zwischendurch schon berichtet, dass sich bei ihm auch Dramen abgespielt hätten – er hätte alles auf Film (und es sei aber nix passiert). Für die Berichte wird es morgen in Peter’s Sports Bar zu eng sein! Naja, wie auch immer; jedenfalls antwortete Yoshi auf meine Warnung hin mit: „Nee, kein Problem, ich habe zu viel Platz um mich rum, da gibt es deutlich bessere, engere Stellen für ihn!“

Nun, auf alle Fälle sind es nicht nur die Voll-Honks, die das Ankern zu einem gefährlichen Unternehmen machen können. So wäre es, wie hier in Horta, in diesem viel zu kleinen Hafenbecken, durchaus angebracht, wenn nur die Hälfte aller Boote angenommen werden würde. Und nicht nach dem Kirmes-Prinzip - „Hereinspaziert meine Damen und Herren, kommen Sie nur herein“. Und laschen ordentlich Kohle ab. Wie uns. Wo Sie unterkommen ist doch nicht unser Problem. - So hatten sich, Gott sei Dank, heute morgen 13 Boote aus dem Staub gemacht und vor dem Hafen an einer Steilküste, wo sie ebenfalls ziemlich geschützt lagen, geankert!

Nachbemerkung Chrischan:
Wir hatten kurz überlegt, dahin zu verlegen, als der Teil der Bucht noch komplett unbelegt war. Na – da hätte Michèle aber einen Tobsuchtsanfall bekommen: Kaum sind wir da, strömen die alle hinter uns her….

Die Skojern liegt vor Anker! Also: Da kann man nicht einfach weg fahren. Dazu müsste man den Anker aufholen. Und wenn man bei stärkerem Wind den Anker etwas entlasten will, dann gibt man mit dem Motor so viel Fahrt nach vorne – gegen den Wind, dass die Kette nicht mehr so stramm ist. Dann nimmt man das Gas weg. Und man fährt NIE über den Anker hinweg! Das ist ein Notmanöver um den Anker aus dem Grund zu brechen. Wenn er sich verhakt hat. Aber Schiff nimmt dabei evtl. Schaden, denn die Kette geht dann ja unters Boot. Und man ist nicht mehr manövierierbar, da kein Ruder und kein Motor gegen den Zug am Bug ankommt. Und man weiß nicht sicher, in welche Richtung es einen dann zieht!