2021 11 24 Wie lebt Ihr denn … Teil 1 - 00:00 Uhr bis 12:00 Uhr

…wurde ich in einem Telefonat gefragt. Das interessiert die Leser. Und: Die Kinder lesen mit. Also, was esst Ihr zum Beispiel. Wie läuft so ein Tag bei Euch?

Fragen, auf die ich nicht gekommen wäre. Aber dann will ich es mal versuchen. Zwischendurch kommen dann einige Hinweise auf unsere Bord-Technik. Denn die bestimmt auch unser Leben.

Dem Ganzen würde ich die Überschrift "Hier leben, lieben, streiten und versöhnen sich Michèle und Chrischan" geben. In der Reihenfolge. Ladies first. Die streiten. Ich als konfliktscheues Etwas bin dann für die Versöhnung zuständig.

Michèle und Thomas hatten sich auf die Überschrift "Home-Story" geeinigt. Auch nicht schlecht. Müssen wohl noch ein paar Bilder in den Beitrag rein…

Dann gehe ich mal so einen Tag durch. Doch halt, etwas ist wirklich komplett anders als "an Land". Es gibt drei verschiedene Arten von Tagen:

  • Im Hafen
  • Vor Anker
  • Unterwegs

Für mich beginnt eigentlich jeder Tag, also um 00:00 Uhr gleich. Er findet mich im Bett vor. Oder ich bin zumindest auf dem Wege dahin. Unsere Betten - wir haben ja auch noch eine Gästekabine - sind 1,60m breit und 2,00m lang. Das erstaunt dann den Einrumpf-Fahrer. Aber bis zu 9 bf (Beaufort Windstärken, da fängt schon "Sturm" an) können wir berichten, das ist in Ordnung. Ein Katamaran liegt so, dass man da ohne "Leesegel" [Link zum Glossar "Leesegel] prima liegt und schlafen kann.

Wenn wir unterwegs sind, dann ist Michèle "auf Wache". Bei uns hat es sich als sehr gut heraus gestellt, lange Wachen zu gehen. Andere Double-Handed-Segler machen das anders, die gehen einen 3er Stropp: Also 3 Stunden Wache, 3 Stunden Ruhe. Da Michèle abends sowieso dazu neigt, bis in die Puppen zu machen, übernimmt sie die Wache vom Dunkel-Werden bis irgendwann zwischen 02:00 und 04:00 Uhr. Dann werde ich "rausgepurrt" [Link zum Glossar "Seemännische Ausdrücke - Purren"]. Ich dagegen kann abends recht früh einschlafen und bin in den frühen Morgenstunden oft sowieso wach.

Das passiert mir dann auch in den beiden anderen Szenarien. Nach dem obligatorischen Toilettengang zwischen 02:00 und 04:00 Uhr schlafe ich oft nicht wieder ein. Dann spiele ich Solitär oder lese etwas. Manchmal stehe ich da auch auf uns mache mir noch eine Tasse Tee dazu und setze mich im Salon in die Ecke. Polstere mich mit Kissen und evtl. sogar einer Decke über die Beine aus und schaue raus. Vielleicht gibt es Musik aus der Konserve oder dem Radio dazu. Nun - und wenn wir unterwegs sind, dann ist das eben meine Wache.

"Auf Wache" ist das Wichtigste die Beobachtung des Windes - wird er zu stark, muss gerefft, also die Segelfläche verkleinert, werden. Das Zweitwichtigste ist die Beobachtung der Umgebung, insbesondere des Schiffsverkehrs. Da ist der Blick auf die elektronische Karte der erste Teil. Hier werden über AIS (Automaitic Informations System) alle Berufsschiffe, die Fischer, wenn sie es denn angeschaltet haben und die Sportboote, die so etwas haben - und auf hoher See haben es eigentlich fast alle, angezeigt. Da kann man dann auch nachschauen, wie sie heißen, was sie sind, wie sie fahren und ganz besonders, wie nah sie uns kommen. Nach dem Recht her sind wir als Segler vorfahrtsberechtigt. Aber die Fischer interessiert das nicht so recht. Die "Großen" halten auf freier See meist eine halbe oder sogar eine Meile, das sind dann 1 - 2 Kilometer, Abstand. Das ist schon so, dass man die letzten Minuten vorher aufpasst, ob er das wirklich macht oder ober er schläft. Dann weichen wir lieber aus. Auf hoher See sind 2 Kilometer - also 1 Seemeile - eher knapp und eng. Da wird man schon etwas nervös….

Es gibt auch "Straßen auf See" (Verkehrstrennungsgebiete). Die befahren wir nach Möglichkeit nicht, aber wenn, dann müssen wir ganz am Rand fahren und auch ausweichen.
Und die Freude mit den Fischern hat Michèle ja schon beschrieben. [2021 09 22 - Micheles Bericht]

Der zweite Teil der Beobachtung der Umgebung ist ein Rundgang draußen, je nach Wetter ins Steuerhaus und bei Unklarheiten angeschnallt in die hinteren Ecken. Ein Rundumblick, ob das, was man in der Elektronik gesehen hat mit dem hier draußen übereinstimmt.

Im Zweifelsfall können wir auch noch mal das Radar anmachen. Zum Beispiel für Michèles Freunde die Fischer, die AIS ausgeschaltet haben. Nun - und dann ist der Himmel mit den Sternen, dem Mond und den Planeten auf hoher See unvergleichlich! Kein störendes Licht! Himmel pur. Und ich freue mich immer, wenn die ISS vorbei kommt. Dazu habe ich extra eine App, die mir genau sagt, wann und wo die zu sehen ist.

Irgendwann ist die längste Nacht zu Ende und es fängt an zu dämmern. Je weiter nach Süden wir kommen, desto kürzer wird diese Zeit. Am Äquator wird dann einfach das Licht angeschaltet. Und abends aus. Das erlebt Michèle eigentlich nicht, das ist mein Privileg. Besonders schöne Sonnenaufgänge heißen dann "Ralf-Aufgang". Er hatte auf unserer Überführungsfahrt [Bericht Cartagena - Wedel] immer die schönen, ich die grauen Sonnenaufgänge, wo man dann irgendwann sagen musste, ja sie ist wohl schon über'm Horizont. Das kann man natürlich in unserer Navigations-Elektronik auch genau nachschauen. Die weiß ja, wo wir sind und errechnet damit dann Sonnen- und Mondaufgänge. Und die Untergänge kann sie auch….

Auf See und vor Anker gleichen sich dann die Tage. Ich beginne mit Papier-Arbeit. Unterwegs ruhig mal ein Kreuz in die Karte machen (also so richtig altmodische Navigation). Und ja - wir haben zwar sieben oder acht elektronische Nav-Systeme, da kann schon mal was ausfallen. Aber im wirklichen Notfall haben wir auch noch "Papier". Und auch einen Sextanten, mit dem astronomisch navigiert werden kann. Auf Papier hat man meiner Meinung nach sowieso den besseren Überblick. Aber die Elektronik ist auch nicht zu verachten, hat aber so ihre Tücken. Manche Details sind im kleinen Maßstab = großer Überblick nicht dargestellt. Auf einer Papier-Karte hat im Zweifelsfall ein Mensch darüber nachgedacht, dass z.B. eine winzig kleine Insel doch einen heftigen Schiffsbruch verursachen kann, wenn man sie denn nur genau trifft.

In Ruhe, also Hafen oder Anker, gibt es aber auch immer noch "Bürokram" zu erledigen. Und sei es, einen dieser Berichte zu schreiben. Aber auch die To-Do-Listen werden weiter geführt, Rechnungen müssen bezahlt werden, E-Mails beantwortet. Erst wenn wir kein GSM-Internet mehr haben, wird es damit weniger. Auf dem Atlantik, wenn dann viel Platz um einen herum ist, dann wird auch hier mal "Bürokram" erledigt.

Dann beginnt der spannende Teil des Tages: Kommt erst Frühstück oder kommt erst Michèle aus dem Bett. Beides passiert irgendwann zwischen 09:00 und 12:00 Uhr. Gefrühstückt wird bei uns ganz "normal wie immer". Also ich liege irgendwo zwischen einem Stück Kuchen, Brot oder Müsli und großem Sonntagsfrühstück mit Ei und Lachs. Michèle macht sich einen Kaffee und dann irgendwann einen zweiten. Danach spreche ich sie an… Vorher besser nicht!

Dann kommt der gemeinsame Teil des Tages. Was war Berichtenswertes, was ist, was soll sein. Insbesondere, was soll es heute Abend zu essen geben. Was muss noch vorbereitet, was "eingekauft" werden. Das heißt dann an die Vorräte in der Bilge [Link zu Glossar Seemännischen Ausdrücke - Bilge]gehen. Auf Backbord-Seite unterhalb des "Fußbodens" ist der freie Raum voll gepackt mit Getränke-Vorräten.

[Bild Bilge]

Auf Steuerbord-Seite sind die Lebensmittel. Auf jeder Seite gibt es an der Wand einen Halter, in dem die Stau-Listen stecken. Die müssen dann peinlich genau nachgeführt werden. Sonst hat man irgendwann noch Dosen von 1990 ganz weit hinten liegen.

[Bild Listen]

 

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