2023 07 15 Begegnungen

Mittagsposition: 34° 28.62‘ N 020° 26.01‘W, Etmal: 103,5 sm.

Nachts komm ich nicht wirklich zum Schlafen. Gegen Mitternacht erscheint – noch über 20 Meilen entfernt – ein Schiff im AIS. Und dann noch eins und aus der Gegenrichtung das nächste. Natürlich bin ich in der Mitte, auf die alle zufahren. So stelle ich mit zunächst den Wecker auf 30 Minuten. Kann aber nicht einschlafen. Als es klingelt sind die Schifflein näher, aber immer noch gut auf Kollisionskurs. Ich nehme den Übersegler: Ja – ich bin auf der „Autobahn Gibraltar – Florida“: Der Erste passiert mich kurz nach 2 Uhr in sicherer Entfernung. Der hinter ihm scheint schon rechtzeitig den Kurs ein wenig geändert zu haben, aber: Kontrolle ist besser als Vertrauen. Positiv formuliert: Ich lese innerhalb von zwei Tagen / Nächten ein Buch (James Patterson – gute Thriller!). Anders ausgedrückt: Ich finde nicht die Ruhe für eine längere Schlafpause. Der Dritte geht auch in sicherer Entfernung hinter mir durch. Nun ist „die Kimm wieder klar“.

So verschiebe ich die morgendliche Funkerei – die beste Zeit für Kurzwellen-Funk ist so um den Sonnenaufgang – heute nach hinten und schlafe lieber noch ein paar Einheiten. Das sind dann immer so eine knappe Stunde. Den Wecker brauche ich eigentlich nicht, ich wache immer vorher auf. Schlafen tu ich im Salon. Die Tür zur „Terrasse“ ist offen, so werde ich durch die kleinste Änderung bei den Geräuschen wach. Nachteil: Ich bin müde, schlapp. Kann mich tagsüber zu nichts aufraffen. Schlafe hier und da noch mal ne Viertelstündchen. Ich esse zu wenig, ich zwinge mich zu Trinken. Erfolg: Die Blase weckt mich, wenn es die Geräusche nicht tun! Nachmittags dann die nächsten Begegnungen:
Kurz vor 16 Uhr ist es so weit. Die Alora erreicht ihren nächsten Punkt (CPA = Closest Point of Approach). Es ist ein Tanker, registriert in Singapure, mit 228 m Länge und 32 m Breite unterwegs nach Florida. Da will sie am 26.07. um 14:00 Uhr ankommen. So fährt sie mit 11 kn, das ist wohl eine ökonomische Fahrtstufe. Kommt mir bis auf 5,5 Meilen „nahe“. Das ist eine Entfernung, in der ich sie gut sehen kann, die aber überhaupt keine Ängste auslöst. Ich habe sie einmal mit 600er Tele aufgenommen und einmal mit ein wenig RE, so dass das Bild einen Eindruck gibt, wie wenig man den Tanker sieht.
Im Norden erscheint auf dem AIS die Eurotrader, auch ein Tanker, noch 27 Meilen entfernt. Erste Meldung meines AIS: CPA von 0,68 Meilen. Das ist eng. Ich hoffe, dass er das auch so sieht. Wenn er jetzt eine ganz kleine Kursänderung vornimmt, dann kann er diese Entfernung deutlich erhöhen. Die meisten Berufsschiffe machen das. Insbesondere, wenn sie mein AIS-Signal sehen: „RE solo sailor“ ist da für sie zu lesen. Und die meisten Seeleute haben vor Solo-Sailors Respekt oder zumindest Mitleid mit ihnen. Sie wissen, dass eben 24/7 nur einer Ausguck geht, Navigation macht und das Schiffchen segelt. Und so dreht er ein klein wenig an, als er noch 10 Meilen entfernt ist. CPA nun: 2 Meilen. Am Ende werden es dann 2,2 Meilen. So ein Segelschiffchen fährt ja nicht wie mit dem Lineal gezogen…. Danke! Die beiden Bilder sind jeweils mit 55er Zoom aufgenommen, das Erste bei 5 Meilen, das zweite dann im CPA, also gut 2 Meilen.
An Land würde man wohl sagen, einer der 2 Meilen – also über 3,5 Kilometer weg ist, den beachte ich doch nicht. Aber auf dem Atlantik ist das schon nahe. Bei einer Meile werde ich nervös, unter einer Meile finde ich kritisch. Die Dinger fahren ja mindestens doppelt so schnell wie ich. Da ist es mir schon von der Geschwindigkeit her kaum möglich, denen zu entkommen. Und die KVR (KollisionsVerhütungsRegeln) der IMO (Internationalen Maritimen Organisation, der meiner Kenntnis alle seefahrenden Nationen angehören) sagt eindeutig: Segelfahrzeuge haben vor Maschinenfahrzeugen Vorfahrt. Und damit haben sie Kurs und Fahrt beizubehalten, der andere muss „sich kümmern“.
Am Ende gibt es dann das „Manöver des letzten Augenblicks“. Da muss dann jeder zusehen, dass keine Kollision stattfindet. Und das darf man sich nicht wie im Straßenverkehr vorstellen. Steuer rum reißen und eine Sekunde später ist die Situation geklärt. Für mich beginnt das Manöver bei einer Annäherung auf eine Meile, ja das sind 1,85 Kilometer. Aber das wird nun eng. Zunächst rufe ich das Schiff an. Über AIS weiß ich auch seinen Namen, sein Rufzeichen. Dann versuche ich zu klären, ob er mich gesehen hat (oder ob er bis hierhin gepennt hat) und ob und was er zu unternehmen gedenkt. Wenn er nicht antwortet, dann sind schon wieder zwei, drei Minuten vergangen. Im Extremfall (er 24 kn, ich 6 kn) ist das Unglück ja inzwischen geschehen. Jede Minute würden wir uns in so einem Extremfall ja eine halbe Meile nähern…. Dann kommt mein Manöver: Motoren an und wenn möglich hinter sein Heck halten. So ein Frachter mit über 200 Meter Länge hat einen Wendekreis von mehreren Meilen! Und bis der sein schweres Ruder überhaupt gelegt hat, da vergeht auch Zeit! Ganz schwierig, wenn er direkt auf mich zukommt. Da würde ich wohl schon deutlich früher nervös werden.

Gegen frühen Abend dann werde ich richtig wach. Nun – Abwaschen und Beiträge schreiben läuft nun wie geschmiert. (Oh – ja, äh, dieser Tagesbericht ist wohl ganz schön lang geworden….) Und endlich habe ich einen Anflug von Hunger! Hurra, heute wird es portugisische Bohnen mit Reis geben. Habe ich mir mal freitags aus dem Marina-Restaurant mitgebracht und eingefroren.
Dann einmal die Angelleine einholen: Etwas schwerer, als nur der Köder. Aber zu leicht für einen Fisch! An Deck dann „the catch of the day“: Sargassokraut und Plastik. Die beiden Probleme des Atlantiks! Und wie jeder gute Fischer habe ich auch „Beifang“. Dem kleinen Kerl rate ich, es doch lieber weiterhin im Wasser zu versuchen. An Bord RE schätze ich seine Überlebenswahrscheinlichkeit als klein ein. Die richtige Sprache finde ich mit einer Pütz Wasser… Und wünsche ihm ein schönes Leben! Tschüss!