2021 09 02 - 04:00 Uhr …

… wache ich auf, da es laut „Klang, klang, klang…“ macht neben meinem Ohr. Die angestochene Tarantel ist sicher langsamer als ich. Zum Stbd-Motor-Raum. Da fliegt (hoffentlich) was durch die Gegend. Tut es aber nicht. Während ich noch an einen Ruderschaden denke, piept der Autopilot: Er kann den Kurs nicht halten. Die Fahrt ist aus dem Schiff raus und wir schlagen quer. Das ist bei einem Katamaran nicht schlimm, aber bemerkbar. Wir müssen in ein Fischernetz gefahren sein.

So ist es auch. Michèle kommt mit unserer unglaublich leuchtstarken Lampe und da ist es zu sehen: Wenige Meter hinter uns zwei orange Bojen. Und direkt am Heck tief ins Wasser geleuchtet: In eineinhalb Meter ziehen zwei Tampen an unserem Ruder.
Bootshaken! Michèle hat ihn schon in der Hand. Eingetaucht und ich kann den einen Tampen erwischen. Eine Minute später haben wir die beiden Bojen an Bord. Nur leider ist der dickere Tampen, der wohl am Netz hängt so stramm, dass ich ihn nicht einen Millimeter hoch bekomme. Die dabei aufklatschende Welle nässt meine untere Hälfte.


Halt, stop! Eigensicherung! Ab in den Salon. Sicherungsgurt anlegen, Rundum-Check: Keine anderen Boote in der Nähe. Im Masttop haben wir ein Stroboskop-Licht. Schnell noch diese Funkelei an. Dann zweiter Versuch: Keine Chance.

Segel bergen! Alle Kraft aus dem Schiff nehmen!
Das ist für die Fock mit eFurler eine schnelle, einfache Sache. Das Groß wehrt sich mehr: Wir können ja nicht in den Wind schießen, da unser Steuerbordheck fest gehalten wird. Auch ein Versuch mit dem Backbordmotor um diesen Fixpunkt herum zu drehen, schlägt fehl. Also gute, alte Handarbeit. Ich hole ein wenig Reff-2 Leine auf dem Dach und Michèle muss diese Lose dann im Steuerstand einziehen. Nach alter Manier: Hol – weg! Bei "Hol" ziehe ich, bei "Weg" Michèle. Das klappt gut, bis Reff 2 ganz eingezogen ist. Die letzten Meter werden dann richtig schwierig. Die Sicherungsleinen sind aber so lang ausgelegt, dass ich auf den Steuerstand steigen und per Hand am Segel ziehen kann. Am Ende muss nur noch das Großfall gesichert werden, dass der Wind das Segel nicht wieder hochzieht. Wieder ist Team-Arbeit gefragt.

Die Fahrt ist raus, aber mit dem Bootshaken läßt sich am Tampen im Wasser nicht eine winzige Kleinigkeit machen.
Als alter Taucher denke ich natürlich daran, ins Wasser zu gehen und die Leine zu schneiden. Aber bei dem Seegang, der Restfahrt und dem Wind keine ungefährliche Sache! Also:
Alle Mann in den Salon, Lagebesprechung!
Ich erkläre die Situation und wie ich im Wasser gesichert werden kann. Was passiert, wenn… Welche Werkzeuge bereit legen, die ich dann aus dem Wasser abfordern kann. Welche Hilfspunkte können kommen, was muss Michèle jeweils machen. Wie komme ich wieder an Bord.

Michèle möchte eine lange Säge haben, so etwas, was wir in Alzey zum Beschneiden und Sägen der Bäume hatten. Tja – das wäre toll! Haben wir aber nicht (mehr und sowieso nicht an Bord!). Und wenn man den Bootshaken nimmt und eine Säge … ???
Grundsätzlich eine tolle Idee, aber allein den Bootshaken im Wasser in die richtige Position zu bringen, um unterzuhaken und hoch zu ziehen war schon anstrengend und schwierig! Nee, daran getapete Säge dann noch zu positionieren und über längere Zeit auf und ab zu bewegen: unmöglich!
Aber dann habe ich auch eine Idee: Wir haben ein superlanges, wellengeschliffenes Messer, um Hummer aufzusägen. Durfte ich das mit an Bord nehmen? Oder hatte Michèle das aussortiert? In der zweiten Schublade – quasi mein Geheim-Versteck von Küchengeräten, bei dem Mic meinte, das kommt mir aber nicht an Bord, finde ich das Supermesser.

Beim Antapen hat Mic dann noch eine Idee, das Messer am Haken des Bootshakens so flach aufzulegen, dass keine Rotationskräfte wirken können. Die Idee erweist sich als genial! Aber ob das funktioniert? Ich säge einmal rauf und runter – nee, das wird nix, ich rutsche ab. Ein zweites Mal – nee, das wird nix ich rutsche ab und ziehe enttäuscht die Klinge aus dem Wasser……..ooops, und da sehen wir nur mehr einen Rest zerfetzter Leine……..wir sind frei!!!!!

Das Ruder bewegt sich endlich wieder, aber schwergängig. Und es klackert! Also, die Reste müssen aus Tampen und einer Tauchkugel bestehen…... oder das Ruder ist beschädigt. Müssen wir wieder das Boot aus dem Wasser bringen? Wir sind aber manövrierfähig. Den Steuerbord-Motor können wir nicht starten, zu groß die Gefahr, dass sich dann was an der Welle festfrisst! Aber die Fock können wir setzen und unsere Fahrt fortsetzen.
In Fahrt dann vorsichtig per Hand gesteuert. Funktioniert!
Oberdeck so weit klarieren, dass der Seebetrieb gefahrlos weiter gehen kann, alle Lichter wieder zurück auf Nachtfahrt. Endlich kann Michèle in die Koje, nimmt aber wegen des Geklappers dann die Backbord-Kabine. Schön, wenn man Auswahl hat!
Ich steuere gen Falmouth. Nach einiger Zeit überlege ich – es ist ja nun still um mich herum – so können wir nicht in einen Hafen einlaufen. Bei Windstille sollte das kein Problem sein, aber…. Ohne Stbd-Maschine, mit schwergängigem Ruder? Nein – das Zeugs muss vorher weg!
25 Meilen rechts voraus ist „Portland Bill“ und sieht wie eine Steilküste aus, hinter der man sich vor dem Wind verstecken kann. Und das in einer Richtung, die wir noch gut mit „Nur-Fock“ segeln können.
Leuchtfeuer-Fotos sind ja sonst Ralfs Sache, aber der ist nicht an Bord.
Kursänderung nach Steuerbord! Trotz „Nur-Fock“ läuft Re noch ganz anständig und läßt Portland Bill anliegen. Zögerlich setze ich den Autopiloten ein. Der hat doch so viel Kraft, den kann ich ja nicht „überstimmen“. Also muss er doch auch dieses etwas schwergängige… Er kann. Bravourös! Besser als ich, liegt nun das neue Ziel an! Trotz Gegenstrom machen wir noch mehr als 4 Knoten. In 6 Stunden sind wir da!
Am linken Rand der Steilküste finden wir genügend Deckung

Im Logbuch steht lapidar:
12:05 Ankern auf 15 m Wassertiefe
Tauchereinsatz: Ruder von einer Tauchkugel befreit.
13:15 Anker auf


Dahinter stecken zwei Lagebesprechungen, drei Tauchgänge, der Einsatz der Ankerwinsch, um mit einem Hilfsseil die Bojenleine aus dem Spalt zwischen Bootskörper und Ruderoberseite raus zu brechen, das Markieren und Anleinen des Ankers, der bombenfest zwischen zwei ca. 2 m hohen Felsen festsaß. Gut, dass wir so eng unter Land sicher nicht vertrieben wurden, aber schlecht, um ihn hoch zu holen. Mit der letzten Luft der 3-Liter-Tauchflasche befinde ich mich in ca. 5 m Wassertiefe. Das macht also gerade keinen Ärger. Während ich noch aufs Boot zuschwimme, startet Mic die Motoren. Nur nicht vertreiben lassen. Ich habe die Beine gerade aus dem Wasser, da gibt sie schon Gas. Der Anker kommt – dank der guten Taucherarbeit – klar und problemlos aus dem Wasser und die Reise geht weiter!
Falmouth wir kommen.
Und: John, auf der Bonn, wir erwarten Dich! Aber das wird dann (hoffentlich) die nächste Geschichte!