2022 06 27 Stierkampf!

Wanderung: Nach Vila Nova zum Stierkampf.

Michèle berichtet!

Ich schaue mir an, wo dieses Vila Nova liegt und finde, dass wir da auch gut zu Fuß hingehen können, da es nur 11 km entfernt liegt. Yoshi hat, wie es so sein Usus ist, noch zwei weitere deutsche Segler (Reinhard und Anna von der SANCARA), die hier vor Anker liegen, angesprochen und die wollen auch mitkommen.

Gesagt, getan. Um 13:00 geht es los. Wir haben also gut Zeit bis zum Kampf, der so gegen 18:00 stattfinden soll. Dafür, dass wir an der Hauptstraße entlang wandern, ist der Weg ganz ok. Zwischendurch unkt Anna, ob das mit der Info bzgl. Stierkampf wohl so stimme – die letzte Info stimmte ja auch nicht! Und überhaupt, wir haben heute Montag, merkwürdiger Tag für eine solche Festivität! Hmmm, jetzt kommen uns auch Zweifel! Obwohl wir der Verkäuferin vorbehaltlos geglaubt hatten. Egal, jetzt sich wir unterwegs, jetzt gehen wir auch weiter. Zwischendurch gönnen wir uns einen Galão und einen selbstgemachten Riesendonut. Beides jeweils für einen Euro. Die Preise hier sind einfach unschlagbar!!! Weiter gehts. So gegen 15:00 erreichen wir Vila Nova – ein paar Fahnen hängen an einigen Häusern, auch sieht man hie und da ein paar abgeschnittene grüne Zweige hochkant entlang der Straße aus der Erde ragen. Es sieht schon irgendwie nach Feierlichkeit aus….. Diese könnte aber eben auch schon einen Tag vorbei sein. Aber kein Mensch weit und breit zu sehen.

Bis wir denn endlich einen Mann entdecken, der sein Haus verbarrikadiert, oder baut er diese Vorrichtung wieder ab? Egal, unser Kommunikationsexperte wird gleich auf ihn gehetzt! Und, tatsächlich, es soll heute stattfinden! Yippieiyeah. Da hinten nach rechts in die Seitenstraße rein. Dort werden gleich die beiden nächsten angehauen. Ebenfalls super freundliche Leute; ein Mann mit seinem Neffen, beide sprechen sehr gut Englisch. Beide gehen mit uns kurz den Weg zurück, um uns zu zeigen, wo was stattfindet, wie das abläuft und wo man noch etwas zu trinken bekommt u.s.w. Da wir sowas noch nie erlebt haben, sind die Erklärungen dennoch nicht so ganz klar. Was aber klar ist, ist, dass sich das Ganze dort unten im Fischereihafen abspielen soll. Hier ist jetzt auch schon deutlich mehr Publikumsverkehr, obwohl es ja erst in etwa 3 Stunden anfangen soll. Aber die ersten Zuschauer haben sich schon ihre Plätze reserviert. Sowohl hier oben am Weg, als auch unten im Hafen. Wir können oben vom Weg, wo schon die ersten Fressbuden stehen, nach unten in den Fischereihafen sehen. Von hier oben hat man einen guten Überblick und die ersten Leute stehen auch schon am Straßenrand. Hmmm, aber dort unten direkt vorne am Hafen, da sind zwei Mauern, die hinterste ist schon voll, entweder mit Zuschauern oder mit, wie es scheint Platzhaltern – also nicht nur die Germanen und die Engländer reservieren ihren Poolplatz, auch die Portugiesen tun dies ;-)) Die Mauer ganz vorne ist aber noch größtenteils leer. Wie holen uns schnell ein Stück Stier vom Grill und marschieren fix runter. Wir bekommen auch den ersehnten Platz und können unser Glück kaum fassen. Der Mauerplatz kann doch nicht sicher sein, wieso sonst sitzt hier kaum jemand? Hier, direkt in der ersten Reihe? Wir schauen uns um und fragen die Zuschauer hinter uns, ob diese Sitze sicher seien. Jaja, kommt es zurück. Wahrscheinlich ist es Ziel, jedes Jahr ein paar doofe Touris den Stieren zu opfern. Und dieses Jahr sind wir dran! Wir haben uns kaum niedergelassen, da gesellt sich auch schon ein ein weiterer Gast zu uns und fängt ein Gespräch an. Unsere erste Frage lautet auch hier, ob diese Plätze sicher seien, haben wir doch noch immer keine Ahnung, wie das hier so alles ablaufen soll. Ja, ja, alles gut. Er spricht ein hervorragendes Englisch mit einem deutlichen portugiesischen Akzent. Er ist von hier. Aber sein Verhalten, seine Kleidung (obwohl ganz normale Kleidung), seine Bewegungen sind merkwürdig amerikanisch, selbst Kaugummi kaut er wie ich das nur von Amis kenne. Die ganze Person kann ich nicht in Einklang bringen: Ami oder Portugiese? Es stellt sich dann heraus, dass er in jungen Jahren nach Amerika ausgewandert ist und jetzt entweder für die Ferien oder für immer wieder zurück in die Heimat gekommen ist. Aber suuuper freundlich; so wie ich das immer wieder von und bei Portugiesen erlebe!! Keine Nation hat freundlichere Menschen als die Portugiesen!! (OK, alle Nationen dieser Erde habe ich noch nicht kennengelernt, aber die, die ich kennenlernen durfte, sind eindeutig die Portugiesen!) Neben Yoshi setzt sich eine Frau, die, wie ich später herausfinde, ebenfalls aus Amerika ist und jetzt hier in Urlaub ist. Sie ist in Massachusetts geboren, ihre Eltern waren dorthin ausgewandert. Und dabei dachte ich, dass alle auswandernden Portugiesen nur nach Luxemburg kämen. ;-) Tatsächlich scheinen die der Azoren eher in die Staaten ausgewandert zu sein.

Langsam füllen sich die Mauern, die Straßenränder und sonstige möglichen und unmöglichen Sitz- und Stehgelegenheiten und der Laster mit den 4 Stieren ist mittlerweile auch angekommen. Es ist aber immer noch eine Stunde bis zum Beginn. Die geht aber genauso schnell vorbei wie die Stunde davor. Alle naselang werden wir angesprochen, es kommen Bauchladenverkäufer vorbei, die Brandung des Meeres im Hintergrund bietet ihr ganz eigens Szenario und einfach nur den Leuten zuschauen, bietet soviel Ablenkung, dass dieser doch eher lange Zeitraum sehr kurzweilig ist.
Endlich geht es dann aber doch noch los. Die 4 Eisenboxen mit den Stieren drin werden vom Lastwagen gehoben und hin und her gerückelt bis sie in einem sicheren Winkel zueinander und zu den Zuschauern stehen. Dann wird dem ersten Stier noch in der Box ein güldener Hörnerschutz aufgeschraubt, damit er niemanden mit seinen Hörnern aufspießen kann. Und er wird an einer seeehr langen Leine festgebunden die, fast immer, von 5-7 kräftigen jungen Männern festgehalten wird. Manchmal, wenn der Stier auch sie versucht auf die Hörner zu nehmen, müssen sie allerdings die Leine loslassen und Reißaus nehmen. Mit dem Seil werden sowohl die Menschen vor dem Stier geschützt als er auch vor sich selbst, dann nämlich, wenn er Gefahr läuft über Mauern auf die dicken kantigen Steine des Ufers zu springen und sich somit selbst zu verletzen. Dann allerdings springen die, tja wie soll ich sie nennen? Regenschirm- und Rot-Deckentadore – denn Matadore sind es jedenfalls keine, da sie die Tiere weder verletzen und schon gleich gar nicht töten - vor den Stier und lenken ihn ab. Es wird dem Tier kein Leid zugefügt.

Es ist also auch kein wirklicher Kampf: der Stier wird an der Leine losgelassen und junge Kerle – ich sehe tatsächlich keine einzige junge Frau dabei mitmischen – springen mit Regenschirm oder einem roten Tuch „bewaffnet“ vor ihn und necken das Tier, indem sie das Tuch/Regenschirm hinhalten und wieder wegziehen. Einige springen komplett „unbewaffnet“ in sein Blickfeld und laufen im Kreis vor ihm her, oft mit der Hand auf der Stirn des Stieres. Nachdem der erste, doch recht wilde Stier wieder in der Box ist, erzählt uns ein Zuschauer, dass dieser ja nun völlig lahm im Gegensatz zu „El Muerte“ gewesen sei; dieser Stier habe 6 Leute auf dem Gewissen! Ich hoffe, dass er die blöden Touris, also uns, einfach nur etwas hoch nehmen will.

In der Pause möchte ich ein paar Fotos davon machen, wie dieser Hörnerschutz angebracht wird. Dafür muss ich auf ein Mäuerchen steigen. Ich habe aber noch nicht mal irgendwelche Anstalten gemacht um dorthin zu gelangen, da springt auch schon der erste auf, um mich vorbei zu lassen. In der Ecke der Mauer steht ein weiterer Gast und winkt mir zu, dass ich zu ihm kommen soll, von dort aus hätte man einen besseren Blick. Gesagt, getan. Wir kommen kurz ins Gespräch. Ach, ihr seid im Hafen von Praia da Vitória, na ich wohne direkt in der Nähe, da nehme ich euch mit. Ich habe zwar nur einen kleinen Wagen aber wartet hier, ich nehme euch mit. Dann muss er los. Ich bin jetzt etwas perplex. Zu 6 in einem kleinen Wagen? Und kommt er wirklich?
Nachdem auch der letzte Stier einmal an der frischen Luft war, besprechen wir uns kurz und entschließen uns doch zurück nach oben an die Straße zu gehen, um noch ein Taxi zu erwischen. Zum einen nämlich wenn wir zu lange warten, gibt es keine Taxis mehr und zum anderen, 6 Leute in einen kleinen Wagen? Ich hoffe einfach, dass er uns vergessen hat – aber so freundlich und hilfsbereit wie die Portugiesen sind, ist er mit Sicherheit mit seinem Auto bis ganz nach unten gekommen, um uns aufzulesen und dann sind wir undankbaren Geschöpfe nicht mehr da!

Unglaublich, wie nett zuvorkommend die Leute hier sind! Aber nicht nur hier; das haben wir schon in Lissabon, auf Madeira und den anderen Azoreninseln feststellen können.

Unser Stierkampf im Fischereihafen von Vila Novo! Ein Film von Yoshi, mit freundlicher Genehmigung. Danke!

© 2020 C. Fuhrmann