2022 05 06 Erste Nachtwache

Vorbemerkung: Brigitte hat sich bereit erklärt, auch mal was zu schreiben. So kommen jetzt mal neue Sichtweisen. Zur Unterscheidung wird auch sie in „Kursiv“ schreiben!


Brigitte berichtet!

Nach meiner Anreise mit Puls und den Aufregungen mit dem streikenden Backbordmotor sind wir glücklich losgesegelt. Für eine gesunde und sichere Überfahrt lud uns Chrischan auf einen Schluck Rum auf dem Achterdeck gemeinsam mit Neptun ein. Anschließend sind wir bei perfektem Wetter unterwegs - eine reine Freude!

21:00 Uhr, Wache mit Michèle, Chrischan ist nach dem Abendessen (leckeres Kartoffel-Linsencurry von Michèle) ins Bett entlassen worden.
Wind bei etwa 15 Knoten, Böen bis 17, das Boot macht circa 5,5 Knoten Fahrt. Wir quatschen und machen etwa alle 20 Min eine Rundumschau - es ist nichts zu sehen.

Außer einem fantastischen Sternenhimmel und der Sichel des zunehmenden Mondes, der unsere Hecksee silbern schimmern lässt. Ein solcher Sternenhimmel ist bei uns an Land aufgrund der „Lichtverschmutzung“ gar nicht mehr zu erleben. Er erinnert mich an Australien 1981: auf unserer Weltreise wollten Heinz und ich von Sydney nach Brisbane trampen, sind nach mehreren Lifts in einem kleinen Kaff ohne Motel o.ä. gestrandet und haben unsere Isomatten kurzerhand auf einem Playground ausgerollt, lagen in unseren Schlafsäcken unter dem Kreuz des Südens und starrten fasziniert in den Sternenhimmel.

Der Wind nimmt ganz langsam zu, die Bewegungen des Bootes sind noch ganz unvertraut. Die Welle kommen wie der Wind aus südlichen Richtungen und das Boot reagiert mit teilweise ganz kurzen Schubsern in alle Richtungen. Im Gegensatz zum tiefen Krängen eines Einrupfbootes ähneln die Bewegungen des Katamarans eher kleinen Bocksprüngen. Wir sind unterwegs Richtung N-NO, Kurs 90 Grad.

Michèle und ich sitzen im Salon und verfolgen den Kurs des Bootes auf „Expedition“ im Laptop, Chrischan hat dort den optimalen Kurs Richtung Flores/Azoren errechnen lassen und wir sehen, dass wir uns leicht von diesem entfernen, also steuert Michele nach auf 095 Grad. Um 23:30 versichere ich ihr, dass sie ins Bett gehen kann, die anderthalb Stunden, bis um 01:00 Uhr Chrischans Wache beginnt, traue ich mir zu, allein Wache zu halten. Michele zeigt mir noch einmal, auf welche Cockpitanzeigen ich achten muss, während der Autopilot seine Arbeit macht, dann verschwindet sie.

Ich gehe hinauf in den Steuerstand. Über mir dieser unglaubliche Sternenhimmel, unter mir ein paar tausend Meter Atlantik und weit und breit kein anderes Schiff zu sehen - ja, genau so hatte ich mir das gewünscht und vorgestellt! Wenn ich den Steuerstand verlasse, klinke ich mich mit einem Karabiner, der an meiner Schwimmweste befestigt ist, in eine Führungsleine ein. Ich habe einen Riesenrespekt davor, zu stolpern und unglücklich unbemerkt über Bord zu gehen! Die Rundumsicht ergibt wieder: nothing.

Der Wind nimmt langsam, aber stetig und böig zu auf 18 bis 19 Knoten, die Bootsgeschwindigkeit liegt nun bei über 6 Knoten. Expedition zeigt, dass uns die 095 Grad wieder an den optimalen Kurs zurückgeführt haben und ich korrigiere erst auf 93, dann auf 92 Grad und nun laufen wir wieder parallel zum optimalen Kurs. Es ist gleich 01:00 Uhr, aber ich bin noch so wach mit etwas Adrenalin, dass ich Chrischan noch eine Stunde länger schlafen lassen möchte, doch da taucht er auch schon auf.
Er zeigt mir, dass man in der Hecksee Meeresleuchten sehen kann, war mir gar nicht aufgefallen, ist aber schön und irgendwie magisch. Nachdem Chrischan mir weitere Features der Cockpitanzeigen erklärt hat, werde ich dann doch müde und verabschiede mich in meine Koje. Entgegen meiner Erwartung kullere ich nicht im Bett herum, sondern liege fest und lasse mich von den Bootsbewegungen in den Schlaf wiegen.

© 2020 C. Fuhrmann